Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch

Andreas, Vorsitzender des Personalrats, Jobcenter Halle (Saale)

Jobcenter Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt. Wenn Andreas hier jeden Tag seinen Dienst antritt, ruhen viele Hoffnungen auf ihm. Die Erwartungen von tausenden Arbeitssuchenden der Stadt und die Wünsche der Mitarbeiter*innen im Jobcenter. Andreas ist Vorsitzender des Personalrats und damit verantwortlich für die Arbeitsbedingungen von rund 500 Beschäftigten. Mit seinem 9-köpfigen Team setzt sich der Hallenser für mehr Personal und weniger Bürokratie ein, um den Arbeitsalltag seiner Leute reibungsloser zu gestalten und damit Konflikte zu vermeiden.

Denn Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung bei den Mitarbeiter*innen im Jobcenter, die hier die Arbeitssuchenden der Stadt Halle (Saale) betreuen. „Unsere Leute müssen sich Beleidigungen und Beschimpfungen in allen Facetten anhören“, so Andreas. Meist entsteht die Wut, weil Bearbeitungen zu lange dauern, die Erwartungen der Antragsteller*innen nicht erfüllt werden können oder sie nicht verstehen, warum ihnen eine Leistung gekürzt wird.

„Da geht es schnell lautstark zu: Türen werden geschmissen, Dinge geworfen, bis hin zu tätlichen Angriffen. Bei uns ist es normal, dass sich die Mitarbeiter bedroht fühlen.“

Starke psychische Belastung und hohes Engagement 

Die Beschäftigten im Jobcenter Halle/(Saale)  – einer gemeinsamen Einrichtung der Kommune und der Agentur für Arbeit – sind extrem sozial engagiert, weiß der Personalrat. „Sie wollen den Menschen helfen, aber sie befinden sich permanent in einer Zwickmühle“, fasst der 53-Jährige die Situation zusammen. „Aufgrund des hohen Arbeitspensums und der dünnen Personaldecke kommen sie nicht nach.“ Die Menge an Aufgaben sei einfach zu viel, meist gehen die Bearbeitungen nicht schnell genug voran. Woraufhin die Leistungsberechtigten oft aggressiv reagieren.

„Mit besserer finanzieller und personeller Ausstattung könnten unsere Leute die Fälle schneller bearbeiten. So würden Konflikte gar nicht erst aufkommen.“ 

Dafür kämpft Andreas, unter anderem in der bundesweiten Arbeitsgruppe der Jobcenter Personalräte, die mit Gesprächen auf die Bundespolitik einwirkt.

Weniger Bürokratie für schnellere Bearbeitung

Bis der lange Weg für mehr Personal geebnet ist, sieht er einen ersten Lösungsansatz in weniger Bürokratie. Viele Prozesse könnten beschleunigt werden: „Wenn man erst einmal tiefer gräbt, findet man einiges an Papierkram, was sich vereinfachen ließe“, so der Personalratsvorsitzende. „Unser Antrags- und Berichtswesen ist kompliziert. In manchen Fällen muss jeder aus einer Bedarfsgemeinschaft einzeln berechnet werden. Da würde es schon helfen, wenn man die gesamte Bedarfsgemeinschaft zusammenfasst und damit zwei oder drei Vorgänge spart.“ Das sei nur ein Beispiel von vielen. „Einige Prozesse sind unnötig. Das müssen wir dringend prüfen und vereinfachen.“  

Konflikte im Vorfeld vermeiden

Die Jobcenter versuchen, Konflikte für ihre Angestellten zu vermeiden. „Viele Mitarbeiter haben Schulungen erhalten, wie sie mit kritischen Situationen umgehen können.“

Zum Glück wird Gewalttätigkeit in vielen Fällen dadurch reguliert, dass die meisten Jobcenter mittlerweile einen Wachschutz haben. Das löst das Problem zumindest für den Moment.

Beitragen zu mehr Sicherheit können laut Andreas auch bauliche Veränderungen. „Man muss sich Gedanken über die Ausgestaltung der Arbeitsplätze machen. Wie können wir den Zugang zu den Mitarbeitern erschweren und so deren Sicherheit erhöhen? Hier müssen einheitliche Standards umgesetzt werden.“ Das ginge aber nur mit einer Finanzierung über die Träger, denn auch hierfür sind Mittel notwendig.

Diese Maßnahmen sind aber nur die Spitze des Eisbergs für Andreas. Für ihn sitzt das Problem tiefer:  Die Jobcenter brauchen dauerhaftes Personal. „Ich will mit meinem Personal über die nächsten Jahre rechnen können und nicht alle acht Monate neue Leute einarbeiten.“ Durch häufig wechselnde Mitarbeiter*innen gehe nicht nur Wissen verloren, auch für die Leistungsberechtigten erzeuge ein*e neue*r Sachbearbeiter*in Unruhe. Das Vertrauen muss neu aufgebaut werden. Andreas kämpft mit der Arbeitsgruppe der Jobcenter Personalräte daher primär für die Entfristung aller befristeten Arbeitsverträge. „Wir müssen erfahrenes Personal halten und so ermöglichen, dass sie ihre Aufgaben dauerhaft und in einem angemessenen Rahmen erfüllen können. Nur so können wir endlich eine qualifizierte Personalentwicklung in Jobcenter-Regie einführen. Die ist dringend nötig.“

Sozialbetrieb ohne Experten

Um das Personal in seinem Jobcenter bestmöglich zu unterstützen, hat Andreas einen weiteren Herzenswunsch: „Wir brauchen eine psychologische Betreuung der Leistungsempfänger durch Fachleute“, fordert der Hallenser. Einige Jobcenter beschäftigen bereits Sozialarbeiter*innen, doch das ist noch längst kein Standard.

„Ich sehe Jobcenter als Sozialbetriebe. Unsere Mitarbeiter kümmern sich um Schicksale. Und wir müssen uns verstärkt Jenen widmen, die schwervermittelbar sind.“ 

Um diesen Menschen eine Perspektive zu eröffnen und sie zu qualifizieren, wünscht sich Andreas neue Wege: Fachexpert*innen seien in der Lage, die Langzeitarbeitslosen psychologisch zu begleiten und ihnen schrittweise zu helfen, sich für den Arbeitsmarkt zu öffnen. Doch dafür brauche es erneut den politischen Willen, diese Fachexpert*innen zu finanzieren.

Das Problem an der Wurzel packen

Hier sieht der Personalratsvorsitzende auch ein gesellschaftliches Grundproblem. „Wir müssen aufhören, erst zu reagieren, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ Er fordert vernünftige Bezahlung, einen höheren Mindestlohn und eine flächendeckende Tarifbindung. „Was nützt es uns, den Langzeitarbeitslosen mit einem 1-Euro-Job in den Arbeitsmarkt zu bringen, wenn er dann trotzdem Leistungen beziehen muss, um seine Familien zu ernähren?“ Diese sogenannten Aufstocker machen einen Großteil der Arbeit im Jobcenter aus. Schlechte Bezahlung dürfe nicht gesellschaftlich akzeptiert werden. „Was verdient ein Altenpfleger? Das spricht Bände über unsere Gesellschaft. Der Mensch steht nicht mehr im Mittelpunkt.“ Soziale Arbeit könne aber aus Andreas Sicht nicht ausschließlich nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt werden. Jene, die SGBII beziehen und in den Arbeitsmarkt zurückgeführt werden müssen, und jene, die sie betreuen, haben dafür aber weder die erforderliche politische Lobby noch die nötige gesellschaftliche Anerkennung.

Text und Redaktion: Ines Hammer

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Wer heute im öffentlichen und privatisierten Sektor arbeitet, der braucht ein dickes Fell! In kurzen Reportagen berichten Beschäftigte aus den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes.

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