Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch

Daniel*, Lehrer an einer Mittelschule in Brandenburg

Gewalt an der Schule? Das kennt Daniel, Lehrer für Sport, Geschichte und Politik, eigentlich nicht. Seit einigen Jahren unterrichtet der 32-Jährige an einer Gesamtschule im Berliner Umland. Hier herrscht ein respektvoller, freundlicher Umgang. Die Schule tut viel dafür: Sozialarbeit, Streitschlichtung und soziales Kompetenztraining.

Seine Schule hat er sich bewusst ausgesucht, denn sie zieht durch ihre Philosophie Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen, mit oder ohne Beeinträchtigung und mit den unterschiedlichsten Nationalitäten oder Religionen an. „Ich bin ein großer Fan von Inklusion“, betont Daniel. „Und an unserer Schule wird das täglich gelebt.“

Bei schulischen oder privaten Problemen finden die Schüler*nnen von Daniels Schule Unterstützung bei Sozialarbeiter*innen; auch Eltern nehmen das Beratungsangebot in Sachen Erziehung oder anderen Fragen wahr.

Eine spezielle Präventionsgruppe hat sich an der Schule etabliert: „Soziales Kompetenztraining“. Hier helfen externe Expert*innen, Streit zu vermeiden und Konflikte zu bereinigen bevor sie eskalieren. 

Verschiedene Angebote helfen, den Klassenzusammenhalt zu stärken oder etwa über Mobbing aufzuklären. „Die Themen haben nicht zwingend mit Gewalt zu tun“, erzählt der Lehrer. „Es geht um soziale Probleme, Interaktion zwischen SchülerInnen untereinander oder zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen.“ Die Gruppe zeigt Wirkung. Eventuelle Vorfälle können im Nachgang mit den Betroffenen in einem neutralen Raum reflektiert, mögliches Streitpotenzial kann schon an der Wurzel minimiert werden. Auch in seiner Klasse thematisiert der Lehrer wöchentlich in der so genannten Reflexionsstunde mögliche Ängste der Kinder und Jugendlichen oder Probleme untereinander.

Blind vor Begeisterung

Doch trotz aller Präventionsmaßnahmen kann manche Situation eskalieren. Der Lehrer hat es am eigenen Leib erfahren.

In einer seiner Sportstunden lassen sich zwei 13-jährige Brüder von ihrer Fußballleidenschaft mitreißen: Nach einem Ballverlust treten sie einen anderen Schüler.

„Beide sind seit über einem Jahr in meinem Sportkurs und sportlich sehr begabt“, so der junge Lehrer. „Sie brennen für das Ballspielen, nichts geht ihnen über Fußball. Da vergessen sie sich manchmal vor lauter Aufregung und Begeisterung.“ Daniel spricht nach der Stunde mit den beiden, der Vorfall wird auch in der Klassenreflexion thematisiert. Die Schüler verstehen, dass sie falsch gehandelt haben. Als Konsequenz dürfen sie in der nächsten Sportstunde nicht am Fußballspiel teilnehmen, schauen von der Bank aus zu. Vor der Stunde erklärt ihnen der Lehrer die „Strafe“ nochmals. 

„Es ging nicht um mich, es ging um die Sache.“

Doch offenbar siegen die Leidenschaft für den Fußball und der Wettkampfgeist der beiden Heranwachsenden über ihr Verständnis. Nach wenigen Minuten des Spiels stürmt einer der Jungen auf den Platz, will mitspielen, tritt in seiner Wut auf Daniel ein.

„Er hat versucht, mich zu Boden zu werfen“, erinnert sich der Lehrer. „Als wir auf dem Boden rollten und ich versuchte, ihn in Zaum zu halten, kam sein Bruder hinzu. Ich glaube, er wollte eher seinen Bruder verteidigen, statt mich anzugreifen.“ Generell sieht er den Angriff wenig persönlich. „Die Jungs waren so auf die Sache, auf das Fußballspiel, fixiert. Die Enttäuschung, nicht mitspielen zu dürfen, hat sie übermannt.“ Nach kurzer gewaltsamer Auseinandersetzung können die beiden Brüder beruhigt werden. Daniel fährt mit dem Unterricht fort. Die Jungen müssen wieder auf die Bank. „Doch nach ein paar Minuten sprangen sie wieder auf, fingen an, die mobilen Fußballtore umzuwerfen, wollten erneut auf mich losgehen.“ Der Lehrer ruft nun doch die Polizei. Er kann die Jungen einigermaßen beruhigen, die Lage ist entschärft. Die Polizei nimmt den Vorfall auf, es wird Anzeige erstattet.

Auswerten und Auffangen

„Die ersten Sportstunden nach dem Vorfall waren schon etwas gewöhnungsbedürftig“, erinnert sich der Pädagoge. „Aber das hat sich schnell gelegt. Durch Gespräche konnten wir wieder einen normalen Umgang zueinander entwickeln.“ In der Gruppe „Soziales Kompetenztraining“ wird der Vorfall besprochen. Externe Sozialarbeiter*innen reden mit den Brüdern. „Die Jungen haben sich ungerecht behandelt gefühlt. Aber sie haben im Endeffekt verstanden, dass ihr Verhalten falsch war. Ich bin ihr Lieblingslehrer, Sport ist ihr Lieblingsfach. Der Angriff hat nicht mir gegolten, sondern der Sache.“ Die Schüler gehen weiter in Daniels Sportunterricht, ohne weitere Probleme. Auch mit dem Rest der Klasse spricht Daniel. In der Reflexionsstunde äußern manche Schüler*innen Angst. „Das hat sich mit der Zeit und den Gesprächen aber gelegt. Wichtig war, dass wir den Vorfall in der Klasse besprochen haben.“ Auch Daniel selbst bekommt Unterstützung von Seiten der Schule. „Unsere Schule ist gut aufgestellt was psychologische Maßnahmen betrifft. Ich wurde sehr gut aufgefangen.“

„Prävention ist das A und O!“

Zum Glück war und ist dieser Vorfall ein Extrembeispiel. „Bis zu diesem Angriff und auch seither ist noch nie etwas derartiges in diesem Ausmaß passiert“, so der Lehrer. Und so soll es auch bleiben.

Daniel und seine Kolleg*innen setzen alles daran, präventiv zu handeln, zu deeskalieren, Stimmungen aufzufangen und Streitpotenzial zu entkräften.

„Es war absolut richtig, dass wir den Vorfall entzerrt haben – denn die auslösende Aktion ist ja in der Sportstunde vorab passiert. In solchen Fällen halte ich nichts davon, unmittelbar einzugreifen, sondern spreche im Nachgang mit den Schüler*innen, wenn sich die Gemüter beruhigt haben.“ Allerdings würde Daniel heute noch einen Schritt weitergehen, ein Gespräch komplett losgelöst vom Kontext Sport auf neutralem Boden führen. „Wenn manches von so großer Bedeutung für die Schüler*innen ist, wie in diesem Falle das Fußballspielen für die beiden Jungen, dann können aus diesen starken Emotionen schon einmal Aggressionen werden, wenn nicht alles nach ihrem Plan läuft. Dieses Gewaltpotenzial muss man erkennen und den Schüler*innen helfen, aus dieser emotionalen Situation rauszukommen und die Anspannung, Wut oder den Frust verrauchen zu lassen.“

 

* Name von der Redaktion auf Wunsch geändert

Text und Redaktion: Ines Hammer

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