„Einen wunderschönen guten Morgen, Ihre Fahrausweise bitte!“ Wenn Dennis täglich durch seinen ICE streift, ein Lächeln im Gesicht, mit klarer Stimme und wachem Blick, ob irgendwo ein Gepäckstück im Weg steht oder jemand Unterstützung benötigt… da kann man eigentlich nur zurücklächeln und schon mal die Fahrkarte zücken. Der 31-jährige Zugchef strahlt eine freundliche Gelassenheit aus, die ansteckt. Eigentlich. Denn immer öfter schlägt ihm Ignoranz, angespannte Stimmung oder gar Aggression entgegen.
„Höflichkeit ist zur Ausnahme geworden“, konstatiert der Wahl-Nürnberger. „Die Leute sind immer gestresster, das Aggressionspotenzial steigt merklich. Mehr und mehr Menschen suchen förmlich nach Auseinandersetzung.“
Als er vor 13 Jahren in seiner Heimat Berlin mit einem Praktikum und der Ausbildung bei der Bahn begann, war die Stimmung noch anders. Seit 2013 ist sein Lebensmittelpunkt nun Nürnberg, hier qualifizierte er sich zum Zugchef weiter. Während seiner Jahre auf den Gleisen bemerkt er viele Veränderungen: „Neben dem wachsenden Stress hat der Respekt vor Uniform deutlich abgenommen. Heute ignorieren einen die Leute oder diskutieren, statt sich zu entschuldigen.“ Wenn etwa Gepäck im Weg steht und der Schaffner eingreift, merke man deutlich, dass der Respekt vor Regeln und Autorität fehle. „Nicht nur weigern sich die Leute einfach, immer häufiger üben die Kunden auch Druck auf uns aus, drohen mit Beschwerden und Reklamationen.“ Fast täglich sehen sich der Zugchef und sein Team so mit Aggression, Drohungen und auch Gewalt konfrontiert.
Müde, genervt, aggressiv – die tägliche Routine
Als Zugchef hat Dennis die Verantwortung für die gesamten Abläufe im Zug. Das beginnt bei der Durchführung von Bremsproben, geht über das Reagieren auf Signale, das Management von möglichen Störungen oder Anschlusszügen und endet bei der Gästebetreuung, den Durchsagen oder auch Bestellungen für das Restaurant. Die Schichten sind lang, gehen oft über zehn Stunden hinaus. Dabei haben sich die Arbeitsintensität und der Anspruch in den letzten Jahren deutlich verändert: „Der Job ist stressiger geworden“, resümiert er. „Die Arbeitsverdichtung hat wahnsinnig zugenommen. Die Pausenzeiten bei einem Zugwechsel werden immer kürzer.“
Den steigenden Stress, den die Bahnangestellten selbst in ihrem Arbeitsalltag spüren, nehmen sie auch an den Fahrgästen wahr. „Die Leute sind heute viel genervter als früher“, beschreibt der Zugchef seine Beobachtungen. „Gerade bei Pendlern spürt man eine wahnsinnige Unlust; sie sind müde oder gestresst.“ Das kann Dennis durchaus verstehen, jedoch ist es für ihn und sein Team oft schwer, wenn die angespannte Stimmung jegliche Höflichkeit erstickt. Früher hätte man aus Rücksichtnahme das Gepäckstück nicht in den Weg gestellt. Heute hat laut Dennis die Egogesellschaft den Gemeinschaftssinn verdrängt: Jeder glaubt sich im Recht, beansprucht die größtmögliche persönliche Entfaltung. Nur leider oft zu Lasten anderer. „Die Verantwortung für andere rückt mehr und mehr in den Hintergrund.“
Kein Pauschalrezept gegen Aggression
Dennis darf als Zugchef im Bedarfsfall das Hausrecht anwenden. Oft geht es dabei gar nicht um so klare Fakten wie gültige Fahrkarten, sondern eher um gereizte Stimmung und Grauzonen wie gegenseitige Rücksichtnahme. Da greifen keine Regeln, nur gesunder Menschenverstand.
„Wenn die Leute genervt oder gar aggressiv reagieren, ist das ärgerlich, aber noch kein Grund, jemandem die Fahrt zu verweigern. Aber solche Situationen können sich schnell hochschaukeln.“
Das hat Dennis langjähriger Teampartner selbst erleben müssen: Bei einer Fahrscheinkontrolle sieht sich sein Zugschaffner plötzlich einem aggressiven Fahrgast ohne gültigen Fahrausweis gegenüber. Nichtsdestotrotz beschimpft dieser den Schaffner, droht Schläge an, wird ausfällig. Der Zugbegleiter bricht die Kontrolle ab. Dennis stoppt den Zug am nächsten Bahnhof und wartet dort auf die verständigte Landespolizei. „Natürlich hatten wir Verspätung, bis alles erledigt war und die Kolleginnen und Kollegen der Polizei den Mann abgeführt hatten.“
Er handelt aus dem Bauch raus. „Es gibt kein Pauschalrezept, man muss in jeder Situation entscheiden, was das Beste ist. Für den eigenen Schutz und für den Schutz der Gäste.“ Dennis ist für die Fahrgäste in seinem Zug verantwortlich, er hat eine Fürsorgepflicht. Entsprechend muss er Entscheidungen zum Wohle aller treffen und kann nicht nur sich selbst schützen. Für solche Fälle plant die Bahn Deeskalationstrainings. „Aber diese werden bislang nur sehr vereinzelt angeboten.“
Aggression darf nicht belohnt werden
Der Zugchef sieht sich dabei in der Zwickmühle. Eigenschutz sollt an erster Stelle stehen, genauso wie es sein Teampartner getan hat. „Aber ich ertrage es andererseits auch nicht, dass Aggression immer häufiger belohnt wird, indem man sich zurückzieht und diese Leute einfach gewähren lässt. Damit lassen wir Unrecht ungestraft!“ Doch die Angst vieler Menschen, selber angegriffen oder verletzt zu werden, sei zu groß.
Nicht ohne Grund, wie Dennis und seine Kolleg*innen selbst erlebt haben:
Auf dem Weg nach Aschaffenburg griff ein betrunkener Fahrgast einen anderen mit dem Messer an. Wie sich später herausstellte, bestand keine Verbindung zwischen Opfer und Täter. „Der hat wahllos zugestochen, das war für uns das traumatischste“, erzählt der Zugchef. „Es hätte jeden erwischen können.“
Glück für das Team: Im Zug waren Polizisten, die den Täter überwältigen konnten. Am nächsten Bahnhof wurde der Täter abgeführt und das Opfer verarztet. „Wenn die Polizei nicht im Zug gewesen wäre“, runzelt der Zugchef die Stirn, „Wer weiß...!“ Doch oft weiß sein Team gar nicht, ob Polizist*innen an Bord sind. „Es würde uns schon helfen, wenn sich die Kollegen bei uns melden würden. Dann wüssten wir, dass im Notfall Hilfe in der Nähe ist.“
Bürokratie verhindert schnelles Reagieren
Das größte Potenzial für mehr Schutz und Sicherheit sieht er aber in einem flexibleren Einsatz der Sicherheitskräfte. Denn mit der „DB Sicherheit“ stehen dem Bahn-Konzern deutschlandweit rund 4.000 ausgebildete Sicherheitskräfte zur Verfügung. Die Kolleg*innen patrouillieren auf Bahnhöfen und in Zügen und erhöhen damit allein durch ihre Präsenz das Sicherheitsempfinden.
Das Problem dabei: Die DB Sicherheit GmbH ist eine andere Firma als die DB Fernverkehr AG, für die Dennis Züge fahren. Das heißt, die Kolleg*innen müssen bestellt, eingeplant und bezahlt werden. „Das funktioniert aber nicht in Ad-hoc-Situationen“, so der Zugchef.
Etwa wenn eine Gruppe aufgebrachter Fußballfans oder eine betrunkene Karnevalsgesellschaft zusteigt, die Stimmung im Zug gereizt ist und zu kippen droht. „Da möchte ich umgehend für den nächsten Bahnhof eine Streife der Sicherheit anfordern können, die spontan ein bis zwei Stationen mitfährt, um Präsenz zu zeigen und so die Situation zu beruhigen.“
Doch dafür gibt es leider keine Regelung. Die Zuggesellschaft muss bei der DB Sicherheit Personal einkaufen – für einen bestimmten Zeitraum auf einem bestimmten Zug. Spontan funktioniere das nicht. Die Kolleg*innen sind nicht am gewünschten Bahnhof vor Ort, die Frage der Kostenübernahme steht sofort im Raum. Wenn fünf Sicherheitskräfte für den Hauptbahnhof Nürnberg gebucht sind, dürfen diese nicht einfach in einen Zug steigen, selbst wenn dort eine Situation zu eskalieren droht. Denn im Zug wären sie für einen anderen Auftraggeber im Einsatz.
„Sicherheit darf es nicht ausschließlich auf Bestellung geben, denn Gefahrensituationen kann man nicht im Vorfeld planen“, warnt der Zugchef.
Es scheitere an der Bürokratie. Der Apparat sei zu unflexibel. Denn auch die Bundespolizei komme nur, wenn Dennis echte Verstöße vorweisen kann. Gereizte Stimmung im Abteil oder ein mulmiges Gefühl des Bahnpersonals reichen als Fakten nicht aus. Genau diese Lücke würden die Sicherheitskräfte schließen. Durch ihre pure Präsenz können sie kritische Situation beruhigen. Dafür wünscht sich Dennis dringend Regelungen, eine Flexibilisierung der Prozesse. „Die spontane Umverteilung des Personals in kritischen Situationen muss möglich sein. Wir brauchen neue Prozesse für die bürokratische Abwicklung zwischen den Gesellschaften im Nachgang. An einigen Bahnhöfen müssten wir Personal aufstocken, um die Sicherheit präventiv vorzuhalten, damit die Kollegen ad-hoc in den Zug steigen können.“ Es brauche insgesamt mehr Mitarbeiter*innen, die für alle Unternehmen einsetzbar sind. Ohne sich im Notfall erst über Kostenstellen streiten zu müssen. Mehr Flexibilität erfordert auch mehr Mittel, das ist ihm klar. „Sicherheit kostet Geld. Und Sicherheit ist immer dringlich. Da darf nicht lang diskutiert werden, wer fordert Hilfe an und wer wird bezahlen.“ Für Dennis steht fest: Sicherheit darf kein bestelltes Gut sein.
Text und Redaktion: Ines Hammer
Porträts
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