Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch

Michel, Kraftfahrer bei der Berliner Stadtreinigung

3.30 Uhr. Um diese Zeit klingelt der Wecker bei Michel jeden Morgen, oder besser jede Nacht. Ein kleines Frühstück, eine Runde mit dem Hund. Dann geht es zum Betriebshof der Berliner Stadtreinigung (BSR). Der 48-jährige Berufskraftfahrer lenkt seit 30 Jahren Müllautos durch den Hauptstadtverkehr. Man könnte jetzt vermuten, dass schwere Mülltonnen das Anstrengendste an dem Job seien. Weit gefehlt. Der stressige Verkehr, respektlose Menschen und alltägliche Beleidigungen sind für Michel und sein Team der aufreibendste Teil an ihrer Arbeit.

Noch zu DDR-Zeiten fing der Ur-Prenzelberger seine Ausbildung bei der „Müllabfuhr“ an. Damals war die Tour noch locker innerhalb der Schichtzeit zu schaffen – heute ist das manchmal schon schwierig.

Die Arbeitsleistung der Kolleg*innen bei Müllabfuhr und Straßenreinigung hat sich in den letzten fünfzehn Jahren laut BSR verdoppelt. „Auch die psychische Belastung ist gestiegen – durch den Verkehr“, weiß der Kraftfahrer.

„Autofahren in Berlin bedeutet einfach Stress. Mehr Baustellen, engere und zugeparkte Straßen, breitere Autos.“ Hinzu kommt die physische Anstrengung durch das Schleppen schwerer Mülltonnen, auch wenn die Technik sich über die Jahre deutlich verbessert hat. Aber der Müll muss fünf Tage die Woche gefahren werden, egal ob bei Regen, Schnee, Glätte oder auch bei 35 Grad Hitze.

Gemeinsam gegen Druck und Respektlosigkeit

Unterwegs ist Michel seit Jahren mit denselben zwei Kollegen. „Das ist bei uns wie in einer Ehe“, lächelt er. „Man liebt sich und man streitet sich.“ Ein Kraftfahrer und zwei Beifahrer fahren pro Tour, eins zu zwei nennt sich das im BSR-Jargon. Das kleine Team hält zusammen. Denn die Müllfahrer brauchen starke Nerven: „Früher hatten die Leute noch mehr Geduld. Heute sind die Menschen aggressiver.“

Täglich sehen sich die Kollegen so mit Beleidigungen konfrontiert. „Wenn wir die Straße versperren, brüllen uns die Fahrer hinter uns an – von Pöbeleien bis zu Drohungen ist alles dabei.“ Aber nicht nur der Straßenverkehr scheint Grund für Aggression zu sein. Generell fehle es einfach manchmal an Respekt.

„Wenn ich gerade die volle Mülltonne aus dem Hinterhof zur Straße rolle und die Bewohner hinter mir die Tür zum Hof wieder verschließen – das ist eine Bagatelle, aber einfach respektlos. Ich muss  ja deren Mülltonne wieder in ihren Hof bringen.“ Gemeinsinn begegnet dem Kraftfahrer kaum noch in der Hektik und dem Stress der Großstadt.

Von Messern und fliegenden Blumentöpfen

Respektlosigkeit kann schnell in Gewalt umschlagen, das weiß Michel. Routinemäßige Müllabholung an einem Imbiss vor einigen Jahren: die Tonne ist überfüllt, obenauf türmt sich ein Berg aus Extra-Mülltüten. „Vertragsmäßig holen wir nur ab, was bezahlt wird. Und das ist bis zu dem Punkt, wo der Deckel der Tonne noch zugeht“, erläutert der Berliner. „Also habe ich die Tüten herunter genommen.“ Zwei Männer erscheinen nacheinander am Schauplatz, fordern, dass er den extra Müll mitnimmt. „Der zweite Mann hielt ein Fleischmesser in der Hand“, erinnert sich Michel. Der Mann fuchtelt mit dem Messer, will ihn zwingen, die Tüten mitzunehmen. „Er schrie mich an: Ich stech dich ab! Aber das habe ich nicht ohne Widerworte ertragen, da bin ich auch laut geworden.“ Doch dann reißt er sich zusammen, zieht sich zurück. Den Müll lässt er stehen.

Einmal, da hatte er keinen Schlüssel für ein Objekt. „Wir klingeln dann bei den Mietern, um an die Tonnen zu kommen. Plötzlich fliegt 20 Zentimeter neben meinem Kopf ein Blumentopf vom Himmel. Hätte ich einen Schritt weiter rechts gestanden, wäre ich jetzt nicht mehr hier.“

Michel verlässt das Grundstück sofort, meldet die Angelegenheit dem Betriebshof. „Bei solchen Vorfällen steht die BSR hinter uns, schickt da keinen unserer Leute mehr hin, bis der Fall geklärt ist und wir zum Beispiel einen Schlüssel haben. Sonst ist das zu gefährlich, hier geht es um unsere Sicherheit.“

Provokationen versus glänzende Kinderaugen

Solche Vorfälle sind für alle Kolleg*innen der BSR Normalität. Alle auf dem Betriebshof wurden schon einmal beleidigt. Insbesondere im Straßenverkehr. „Klar ist der Verkehr in Berlin für alle belastend. Aber trotzdem verstehe ich nicht, dass so gar kein Verständnis da ist. Wir holen die Behälter nun mal aus Hinterhöfen und Kellern. Das dauert eben.“ Manche Menschen scheinen es laut dem 48-Jährigen auch einfach provozieren zu wollen. „So ein Müllwagen ist groß und knallorange, der blinkt und piept. Aber die Leute fahren trotzdem in die Straße rein, obwohl sie sehen, dass wir sie gerade versperren. Und dann hupen und schreien sie. Als gäbe es nur die eine Straße in Berlin.“

Eigentlich müssten sich die Menschen freuen, sinniert Michel. „Wir holen ja deren Müll, nicht unseren. Stell Dir mal vor, keiner holt den Müll.“

Freuen, so wie die Kinder etwa. Wenn die BSR an Kitas vorbeikommt, werden sie schon sehnsüchtig winkend am Straßenrand erwartet. Für die Kleinen sind die Männer und Frauen in Orange ganz groß. „Das sind schöne Momente“, wünscht sich der Berliner mehr davon.

Ruhig bleiben, umdrehen und gehen

Erfolgsmomente erleben die BSR-Mitarbeiter*innen auch in der Fort- und Weiterbildung: In Deeskalationstrainings und Rollenspielen üben sie, wie sie in kritischen Situationen ruhig reagieren können. „Das ist wichtig, denn wenn man den ganzen Tag draußen ist und vom zehnten Autofahrer oder Passanten beleidigt und beschimpft wird, reißt halt auch mal der Geduldsfaden“, so der Kraftfahrer.

Er ist Mitinitiator und Betreuer des „Boxenstopp“: Hier tauschen langjährige und neue Kolleg*innen Know-how und Erfahrungen aus – auch  zur Deeskalation.

Denn Aufregen bringt nichts, weiß der 48-Jährige. Sonst gefährdet man sich selber. Sein Credo: Nicht darauf einlassen. „Ich war früher auch aufbrausend. Man denke nur an die Geschichte mit dem Messer. Aber ich bin ruhiger geworden, lockerer.“ Seine Erfahrungen gibt er gern an seine Kolleg*innen weiter. „Wenn wir rücksichtsvoll miteinander und mit der Bevölkerung umgehen, vielleicht können wir so wieder für ein bisschen mehr Respekt sorgen“, hofft Michel.

Text und Redaktion: Ines Hammer

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