Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch

News 2025

»Da brach mein ganzes Berufsbild zusammen«

Berliner Lehrerin Angelika und Logo der Initiative "Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch"

Bedroht, zusammengeschlagen und allein gelassen. Warum eine Berliner Lehrerin trotzdem nicht aufgibt.

von Alexander Boettcher und Henriette Schwarz

Drei Jahre ist es nun her, dass ein Moment alles für Angelika veränderte. Die Berliner Lehrerin wollte einen Streit zwischen zwei Schülern mit Worten schlichten, ein alltäglicher Teil ihrer Arbeit. Dann wendete sich die Gewalt plötzlich gegen sie selbst: Ein Schüler würgte sie und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Mitten im Unterricht. Angelika ging zu Boden, vor den Augen der gesamten Klasse.

»Das war das schlimmste Gewalterlebnis in meiner Karriere«, sagt die Lehrerin, »in diesem Moment ist mein gesamtes Berufsbild zusammengebrochen.« Dass sie von ihren Schüler*innen inzwischen täglich beschimpft wurde, oft mit den härtesten, ehrverletzenden Worten, daran hatte sie sich schon gewöhnt. Hinzu kamen regelmäßig Drohungen – auch von Eltern.

K.O. in der Schule: Sicher kein Einzelfall

Immer häufiger werden Beschäftigte im Dienst der Gesellschaft Opfer von Gewalt. Rettungskräfte, Feuerwehrleute oder Bedienstete der Ordnungsämter werden im Einsatz angepöbelt, Mitarbeiter*innen von öffentlichen Verkehrs- und Entsorgungsunternehmen im Dienst attackiert, Lehrer*innen fühlen sich durch Eltern oder Schüler*innen bedroht, Beschäftigte in Jobcentern, Bürgerämtern und Bädern, bei den Gerichten und in Justizvollzugsanstalten werden angegriffen und beleidigt. Ein Blick ins Internet genügt: Angelika ist bei weitem kein Einzelfall – Erfahrungsberichte und Statistiken sprechen eine deutliche Sprache.

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) befragte 2024 tausend Lehrer*innen. Über die Hälfte berichtete von einer Zunahme psychischer Gewalt wie Beleidigungen, Beschimpfungen und Mobbing.

Dabei ist davon auszugehen, dass viele Vorfälle nicht gemeldet werden – weil es nichts an der Situation ändert, der bürokratische Aufwand zu hoch ist oder Vorgesetzte und Kolleg*innen signalisiert haben, dass Gewaltmeldungen unerwünscht sind. Dieses Dunkelzifferproblem verschärft die Lage. In offiziellen Statistiken wird Gewalt gegen Beschäftigte dadurch oft verharmlost abgebildet. Zudem fehlen wichtige Informationen, um passende Präventions- und Hilfsangebote auszubauen.

Gewalt gegen Lehrkräfte wird kaum gesondert erfasst. Allgemeine Erhebungen sind jedoch alarmierend. In einer DGB-Umfrage von 2020 gaben 67 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen und privatisierten Sektor an, bereits Opfer verbaler oder körperlicher Gewalt geworden zu sein. Eine vom DGB erwirkte Studie des Bundesinnenministeriums bestätigt ebenfalls, dass die Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst zwischen 2019 und 2021 deutlich gestiegen ist. Auch die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass die Gewaltkriminalität in Deutschland nach einem leichten Rückgang wieder ansteigt.

Gewalt nimmt zu

Die Ursachen sind vielfältig. Polarisierung und Respektverlust spielen eine zentrale Rolle: Debatten werden zunehmend aggressiv und emotional geführt, die Hemmschwelle für persönliche Angriffe scheint zu sinken. Oft trifft es jene, die unmittelbar erreichbar sind wie Lehrer*innen, Mitarbeiter*innen in Behörden oder Rettungskräfte.

Eng damit verknüpft ist, dass sich Bürger*innen aufgrund einer zu weit getriebenen Verschlankung des Staates, kleingesparter Leistungen und löchriger Sicherungsnetze nicht mehr auf öffentliche Institutionen verlassen können. Frust und Wut folgen – besonders im Bildungsbereich, wo laut einer DGB-Befragung vom Jahr 2023 nur 33 Prozent der Befragten mit dem Job zufrieden oder sehr zufrieden sind.

Ein weiterer Faktor ist der Einfluss sozialer Medien, in denen Hass und Hetze sich oft ungefiltert verbreiten. Das kann Gewalt nicht nur normalisieren, sondern sogar anstacheln. Die Anonymität des Internets senkt die Hemmschwelle für Beleidigungen und Bedrohungen, was sich zunehmend auch im realen Leben bemerkbar macht.

Globale Krisen, wirtschaftliche Unsicherheit und ein Gefühl der Machtlosigkeit beschleunigen all dies. Und auch die Corona-Pandemie wirkt noch nach. Denn nach Monaten ohne Unterrichtspräsenz und mit stark reduzierten Sozialkontakten neigten viele Kinder und Jugendliche stärker zu körperlichen Auseinandersetzungen, erklärt die Beratungsstelle Gewaltprävention der Hamburger Schulbehörde.

DGB-Initiative fordert Respekt für Beschäftigte

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften, darunter die GEW, blicken besorgt auf diese Entwicklungen. Seit 2020 engagieren sie sich mit der Initiative »Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch« für mehr Respekt und gegen jede Form von Gewalt gegenüber Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die Initiative setzt sich entschlossen für umfassende Maßnahmen zur Prävention von Gewalt ein. Dabei fordern die Verantwortlichen nicht nur einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, sondern auch konkrete Schritte zur nachhaltigen Verbesserung der Situation.

Zentrale Forderungen sind der Ausbau des Personals sowie eine ausreichende Ausstattung. Außerdem sollen Beschäftigte verstärkt präventiv geschult und das betriebliche Gesundheitsmanagement gezielt erweitert werden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Sensibilisierung von Führungskräften und Schulleitungen.

Die Gewerkschaften unterstreichen zudem die Dringlichkeit von Investitionen in die Infrastruktur. Gleichzeitig plädieren sie für die systematische Erhebung fundierter Daten zu Gewaltvorfällen, um darauf basierend gezielte und wirksame Strategien entwickeln zu können.

Prävention und der Schutz der Betroffenen haben höchste Priorität. Dafür braucht es klare Meldewege, leicht zugängliche Nachsorgeangebote und einen besseren rechtlichen Schutz – einschließlich der konsequenten Verfolgung und Ahndung von Straftaten. Lehrer*innen und andere Mitarbeiter*innen müssen wissen, dass sie auf Unterstützung zählen können, wenn sie Opfer von Gewalt werden.

Betroffene fühlen sich allein gelassen

Unterstützung von offizieller Seite erfuhr Lehrerin Angelika nach dem Gewaltvorfall kaum, weder bei ihrer Schulleitung, noch beim Durchgangsarzt. Erst ihr Hausarzt schrieb sie aufgrund des Angriffs krank und ermöglichte eine mehrwöchige Reha. Psychologische Hilfe nach der Kur musste sich Angelika selbst organisieren. Die Schulbehörde stempelte ihren Unfallbericht nicht ab – so bestand kein Anspruch auf psychologische Betreuung. Erst nach massivem Druck, auch durch unabhängige Interventionsstellen, konnte Angelika an eine andere Schule wechseln.

Kein Wunder, dass sie sich »total alleine und verloren« fühlte, wie sie über die Zeit nach dem Vorfall erzählt. Aufzugeben und den Lehrdienst zu verlassen, kam für sie aber nicht infrage. Denn trotz allem liebt Angelika ihren Beruf. Kinder und Jugendliche will sie stärken, ihnen zeigen, wie sie auch große Hürden überwinden können. Ein besseres Vorbild als sie gibt es dafür kaum.

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